Endlich! Eisbären!
"Two polarbears ahead", schreit Rinie van Meurs (35), unser holländischer
Guide. Das
sind sie, "Könige der Tiere", die gefährlichsten Landraubtiere der Welt. Wir
sitzen in den luftgefüllten Gummibooten, den 'Zodiacs', und flitzen über das Wasser an
scharfkantigen Eisbrocken vorbei.
"Zwei Eisbären, einer ist im Wasser, der andere an Land.", sagt Rinie jetzt
auf Deutsch. Das eiskalte Wasser spritzt in die Boote. Bis auf wenige
Dutzend Meter
nähern wir uns ihnen, das Klicken der Kameras schwillt unaufhörlich an, dann nehmen die
Eisbären Reißaus.
Wir, das sind 27
Abenteuertouristen aus aller Welt, die mit Teleobjektiven Eisbären und andere Tiere auf
Spitzbergen "jagen". Es ist zwei Uhr morgens, und es ist taghell. Hier oben
herrscht der Polartag, die Sonne steht ununterbrochen am Himmel. Und kühl ist es hier,
knapp drei Grad über Null, denn bis zum Nordpol sind es ungefähr nur noch 1000 Kilometer. Die
Fotojagd auf die Eisbären dauert eine Stunde, die Touristen sind zufrieden. Zurück geht
es an Bord des Diesel angetriebenen russischen Eisbrechers "Professor
Molchanov". Wie
Entdecker fühlen wir uns hier im hohen Norden. Spitzbergen war und ist der Stützpunkt
für viele Expeditionen. Der Holländer Willem Barents entdeckte die Inselgruppe im Mai
1596. Hier endete 1896 die legendäre dreijährige Eisdrift der "Fram" von
Fridjof Nansen.
Damit wies der Norweger
Nansen nach, dass der Eispanzer um den Nordpol keine
Landmasse, sondern gefrorenes Eis auf dem Meer ist. Mit dem gleichen Schiff, der
"Fram", fuhr übrigens der Norweger Roald Amundsen 14 Jahre später in die
Antarktis, um als erster Mensch den Südpol zu erreichen.
Von der Westküste Spitzbergens
versuchte 1897 der schwedische Ingenieur Salomon August Andrée mit einem Gasballon den
Nordpol zu erreichen. Sein Schicksal und das seiner beiden Begleiter wurde erst drei
Jahrzehnte später aufgeklärt: Sie mussten auf halbem Wege im Packeis notlanden und
starben schließlich auf der abgelegenen Spitzbergen-Insel Kvitøya.
1926 überflogen
Amundsen und der italienische General Umberto Nobile von Spitzbergen aus mit dem Zeppelin
"Norge" den Nordpol.
Die Forschung spielt auf Spitzbergen eine
sehr große Rolle. Internationale Forschergruppen wie zum Beispiel das
Alfred-Wegener-Institut in Ny Ålesund erforschen den Ozonabbau und die Luftverschmutzung
über der Nordhalbkugel. Auch die Nordlichter lassen sich hier während der viermonatigen
Polarnacht im Winter gut beobachten und untersuchen.
Auf Spitzbergen leben zirka 3.700 Menschen
auf einer Fläche von 62.700 Quadratkilometer, ein Gebiet fast so groß wie die
Beneluxstaaten. Die Inselgruppe, die auch "Svalbard" genannt wird,
umfasst fünf
Hauptinseln. Durch den Golfstrom, der an der Westseite vorbei strömt, sind die
Temperaturen gemildert: Im Winter sind es im Durchschnitt bis minus 14 Grad, und im Sommer
klettert das Thermometer bis 6 Grad über Null. Spitzenwerte im Sommer von über plus 20
Grad und im Winter bis unter minus 40 Grad können auch vorkommen.
Spitzbergen wird seit 1922 von den Norwegern
verwaltet. Der Hauptort heißt Longyearbyen, in dieser Siedlung leben ungefähr 1.000
Norweger. Der Hauptteil von ihnen lebt direkt bzw. indirekt vom Kohleabbau. Hier werden
die einzigen Kohlegruben Norwegens betrieben. Die Zukunft sieht nicht besonders rosig aus:
von 350.000 Tonnen Kohle wurden letztes Jahr (1992) nur 250.000 Tonnen verwertet. Auch die
Russen bauen hier im hohen Norden Kohle ab, die zum russischen Festland verschifft wird.
Seit über 70 Jahren leben Russen und Norweger hier in friedlicher Nachbarschaft.
Wichtig für die Wirtschaft ist auch der
Tourismus. Andreas Umbreit (34), deutscher Reiseveranstalter auf Spitzbergen und Autor des
"Spitzbergen-Handbuches": "Seitens der Verwaltung wird hier scharf auf die
Verhaltensregeln in der Natur aufgepasst. Außerhalb des Ortes Longyearbyen dürfen
Wanderer bzw. Trekker nur mit Gewehr in die grandiose Gletscherwelt: Überall können
Eisbären lauern."
Auf unserer Eisbrecherfahrt gelangen wir
über den achtzigsten Breitengrad, besuchen brütende Elfenbeinmöwenkolonien auf der
Insel Nordostland, wagen uns mit den Schlauchbooten bis auf wenige Meter an Walrossbullen,
die ihr Mittagsschläfchen auf einer Eisscholle abhalten und wandern mit Gummistiefeln auf
dem sumpfigen, aufgetauten Permafrostboden. Das ist kein Urlaub, das ist fast wie eine
richtige Expedition.
An den zerfallenen Ballonhangars von Salomon
August Andrèe, der 1896/97 den Nordpol erreichen wollte, in der Virgobucht auf der Däneninsel verharren wir mit Respekt vor den
Überresten. Hier haben sich packende Dramen abgespielt, hier waren Entdecker noch
Entdecker. Die Arktis, das Dach der Welt, lockte damals wie heute.
Vom Flughafen in
Longyearbyen verlassen wir die Schnee verhüllten Gipfel, die bis ins Meer reichen. Nach
anderthalb Stunden Flug in südlicher Richtung erreichen wir Tromsø im Norden Norwegens,
von dort geht es über Oslo nach Düsseldorf. Gerade mal viereinhalb Stunden gesamte
Flugzeit...
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