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Raus
aus dem Knast, rein in die Natur - die verurteilten
Franzosen. |
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Kriminelle
auf dem Inari-See |
Mit
sieben Knackis auf einer Insel |
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Ruhe will ich! Darum
suche ich mir eine Insel im Inari zum Erholen. Im See gibt
es ja über 3.000 Inseln. Gemütlich sitze ich am
Lagerfeuer, da tauchen plötzlich sechs Gummikanus auf. An
Bord sind sieben junge französische Kriminelle!
Es fing ja schon gut an! Kaum hatte ich
nachmittags auf meiner Robinson-Crusoe-Insel mein Lager
aufgeschlagen, kam ein großes Schiff mit zwanzig Finnen um
die Ecke, die ein Fest feiern wollten. Am späten Abend fuhr
die Gruppe laut singend zurück. Gegen ein Uhr nachts legte
ein weiteres Boot an. Ein schwedischer Förster, der Urlaub
auf dem Inari macht. Er erzählte mir bis zwei Uhr morgens
spannende Waldgeschichten und fuhr am nächsten Mittag
weiter. Und dann am Nachmittag kamen die Franzosen!
Die sieben französischen
'Jungs' –
sie sind zwischen fünfzehn und achtzehn Jahre alt – sind
in der Heimat verurteilte Straftäter! Begleitet werden sie
von vier Aufpassern, umgangssprachlich als ‚Kleiderschränke‘
zu bezeichnen.
Einer von den Franzosen, er heißt Jean
(35), kann sehr gut deutsch sprechen und ist der Chef der
Gruppe. Jean hat die deutsche Sprache in Deutschland
gelernt. Die anderen Aufpasser heißen Alain (42),
Motorradrennfahrer und Taekwan-Do-Lehrer, Marcel (40),
ehemaliger rumänischer Nationalspieler im Rugbyteam und
jetziger französischer Staatsbürger und Olivier (33),
aktiver Triathlet. Und Jean? – Koch und Kellner!
"In Frankreich gibt es etwa 70
private Organisationen, die es zur Aufgabe haben,
jugendliche Straftäter zu resozialisieren. Von den
Gerichten wird das bestimmt.", erzählt Jean. "Wir
sind von der Organisation AVANAA, was in der Inuitsprache
soviel wie ‚Richtung Nord‘ bedeutet. Mit kleinen Gruppen
von je sieben Verurteilten fahren wir für mehrere Monate
mit den Kanus auf den Inari-See. Hier bleiben wir zwei
Monate in der Wildnis. Dann folgen daheim zwei Monate
Berufsvorbereitung und schließlich ein Monat die
Wiedereingliederung ins ‚normale‘ Leben."
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Gespräche am
Lagerfeuer.
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Die sieben 'Jungs' richten sich in der großen Hütte ein, die Aufpasser bauen
ihre Zelte auf. Jean als Koch übernimmt das Essen für die
Aufpasser; ich werde mit eingeladen. Dabei prügeln sich am
Ufer Alain und ein etwas dicklicher 'Knacki'. "Das ist
nur Spaß", beruhigt mich Jean. Aber hier in der freien
Natur werden schon handgreifliche Sachen ausgetragen.
"Es gibt dabei nur eine Regel – nicht in die
Weichteile treten!"
Und wenn einer versucht zu fliehen?
"Keine Chance, der kommt nicht weit. Die Polizei hier
ist informiert. Der ist ganz schnell wieder eingefangen. Der
könnte in der Wildnis gar nicht überleben."
In der Gruppe sollen die Jugendlichen
soziale Verhaltensmuster lernen. "Das ist wie eine
Schocktherapie. Sie lernen in den zwei Monaten mehr, als wie
in ihrem bisherigen Leben zuvor."
Die 'Jungs' müssen sich selbst versorgen,
die Lebensmittel bekommen sie von der Organisation gestellt.
Die größte Strafe ist der Verzicht auf Zigaretten.
Täglich bekommen sie vier Stück. Baut einer Mist, bedeutet
das die Reduzierung der Tagesration. Nach einer Flucht oder
Prügelei wird die Ration sogar tageweise gestrichen.
"Das haut den stärksten Bengel um!" Und wenn
einer Nichtraucher ist? "Das ist bis jetzt nicht
vorgekommen.", lacht Jean.
Die Zahlen geben den Organisationen recht.
Jean: "Von den aus dem Gefängnis entlassenen
Jugendlichen können sich etwa nur 30 Prozent wieder im ‚normalen‘
Leben integrieren. Wir in unserer Organisation haben mit
unserer Methode dagegen eine Erfolgsquote von bis zu 70
Prozent. Außerdem liegen wir mit unseren Tageskosten weit
unterhalb der Gefängniskosten für einen Häftling pro
Tag."
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Survivaltour als
Resozialisierungsprozess.
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Das Essen – Käse mit
Bratkartoffeln – hat Restaurantniveau, oder ich bin nichts
mehr gewöhnt. Zu fünft liegen wir am Lagerfeuer, während
die sieben Knackis sich selbst in der Hütte mit Essen
versorgen. Schon früh ist Ruhe bei den
'Jungs'. Die vier
Aufpasser wissen sie zu fordern. Das Lagerfeuer lodert am
Ufer, ein wolkenloser Mitternachtshimmel reflektiert sich
pechschwarz im stillen Wasser. Alain schnitzt aus einem
leblosen Holzscheit ‚mal eben‘ einen Frauenkörper.
"Wir machen diese Tour zwei Mal im
Jahr – im Sommer und im Winter. Es gibt auch
Mädchengruppen. Dagegen sind das hier brave und liebe
Kerle.", erzählt Jean, "Die Mädchengruppen
werden von vier Frauen geführt."
Die vier Aufpasser legen sich in ihren
Zelten schlafen, ich ziehe mich in meine kleine Holzhütte
zurück. Angst habe ich keine mehr.
Eine ruhige Nacht habe ich. Mit Olivier
koche ich morgens den Kaffee. Er kann gut Englisch sprechen
und erzählt, dass er diesen Job noch einige Jahre machen
will. Früher hat er Geologie studiert, jetzt hat seine Frau
vor sechs Monaten einen gemeinsamen Sohn geboren. Beide
vermisst er, und so will er die nächsten Tage für kurze
Zeit zu ihnen nach Frankreich reisen.
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Eine kleine Rangelei am
Rande. Aufpasser Alain (re.) ist Taekwan-Do-Trainer.
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Zum Lagerfeuer kommt
auch einer der Knackis. Wir trinken zusammen einen Kaffee.
Er heiß Farid, kommt mit seiner Familie aus Algerien und
ist 17 Jahre alt: "Zuhause habe ich vier Schwestern und
einen Bruder, ich bin das schwarze Schaf der Familie.
Verurteilt bin ich wegen Klauerei und Scheckkartenbetrug,
dabei ging es um 3.000 €." Wie gefällt es ihm auf
dieser Tour? "Die Natur, der See, das ist schon toll.
Aber die Regeln innerhalb der Gruppe gefallen mir überhaupt
nicht!"
Seit zwei Wochen ist die Gruppe erst
unterwegs, sechs Wochen Wildnis erwarten die 'Jungs' noch.
"Wenn ich zurückkomme, lerne ich Maurer.",
erzählt Farid. Unterdessen verteilt Jean die neue
Zigarettenration. Farid springt sofort hin, wie die anderen
auch. Ich frage Jean nach den anderen Vergehen. "Wir
haben fast alles – bewaffneten Raub, Überfälle, Gewalt
usw."
Wie geht es weiter auf der Tour? "Wir
bleiben einige Tage hier und paddeln dann nordwärts, um uns
mit neuem Proviant einzudecken. In der Nähe von Partakko
haben wir unser Basislager. Und so drehen wir in den zwei
Monaten Runde um Runde über den See."
Meine Sachen packe ich. So schön und
aufregend es hier auch ist, so will ich doch noch einige
Tage Ruhe genießen. Der Abschied ist fast wie bei alten
Freunden, selbst die Knackis stehen am Ufer und winken mir
zu. Ich starte den Motor, drehe mich um und bin gespannt,
wen ich als nächstes auf dem riesigen See treffen werde...
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Nachsatz
Vor der Abfahrt frage ich Jean, wo in
Deutschland er so gut Deutsch gelernt habe?
"In Kaarst. Dort arbeitete ich
erst als Koch in dem Restaurant Kalbreyers im Maubiszentrum,
dann machte ich einen Weinladen auf.
Vor acht Jahren ging ich wieder zurück nach
Frankreich."
"Was für eine Überraschung! Ich
komme auch aus Kaarst und lebe nun dort seit acht Jahren.
Bei Kalbreyers frühstücke ich öfters, und den Weinladen
gibt es immer noch. Dort kaufe ich ab und an einige
Flaschen."
Sachen gibt’s...
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Autor:
Th.
Bujack |
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Rechte bei der NORDLANDSEITE, 2005
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