Tromsö, 23. Juni 1928
Herr Konsul Thiis, Tromsö
bezüglich Ihrer Anfrage kann ich Ihnen
mitteilen, was meine Unterhaltungen mit Herrn Amundsen und
Dietrichson seit ihrem Aufenthalt hier betrifft:
Herr Dietrichson hatte mich morgens
angerufen und nach der Wettervorhersage gefragt. Ich hatte
ihm geantwortet, daß es auf der Bären-Insel bisher
unverändert Nebel und starken Wind gäbe, Stärke 6, aber
daß sich das Wetter nun beruhigt hätte, wie wir vermutet
hatten. Wir nahmen an, daß sich der Nebel an der Eisgrenze
relativieren würde, die wir nicht weit von der Insel
vermuten, da in der letzten Zeit der Wind aus dem Osten ja
ausreichend geweht hatte. Wir vermuteten, daß sich der
Nebel ungefähr auf halbem Wege zwischen der Bäreninsel und
dem Südkap (südlicher Punkt von Spitsbergen) ausbreiten
würde. Von diesem Punkt aus (halber Weg zwischen
Bäreninsel und dem Südkap) und in nördlicher Richtung kam
der Wind aus dem Süden, sie würden dort also einen guten
Wind haben. Das Wetter in der gesamten Region Spitsbergen
war ruhig und gut. Wir haben dringend empfohlen, Richtung
Osten zu fliegen, um die Nebelzone zu vermeiden, die -
unserer Meinung nach - sich vielleicht über das ganze
Barentmeer ausbreitet. Soweit ich mich erinnere, hat man
nicht über das Wetter für eine weitere Route nach Osten
gesprochen. Ich habe gefragt, wann sie aufbrechen. Er hat
mir geantwortet, daß sie so schnell wie möglich aufbrechen
wollten.
Gegen 11.15 Uhr hat mich der Pharmazeut
Herr Zapffe angerufen, um sich nach der Wettervorhersage zu
erkundigen. Herr Amundsen kam auch an den Apparat. Ich habe
ihm mitgeteilt, was ich Herrn Dietrichson über die
Wettersituation gesagt habe, aber ich habe ihm darüber
hinaus mitgeteilt, daß wir nach dem Wetterbericht, den wir
um 11.00 Uhr erhalten haben, unsere Situationseinschätzung
in einem gewissen Punkt geändert haben. Es schien im
Grunde, daß ein Tiefdruckgebiet angekommen war, das sich
von Nord nach Süd über das Meer zwischen Grönland und
Spitsbergen ausbreitete. Es könnte sein, daß dieses
Tiefdruckgebiet ein nebeliges und dunstiges Wetter und auf
diese Weise Schwierigkeiten anläßlich der "Ameri"
(?) verursachen würde. Wir haben indessen nicht geglaubt,
daß dieses Tiefdruckgebiet ein großes Hindernis sein
würde, zum einen war es sehr schwach, zum anderen schien
es, daß es sich sehr langsam fortbewegt. Wir vermuteten,
daß wir beim Erhalt des nächsten meterologischen Berichts
um 14.00 Uhr besser über die Entwicklung dieses
Tiefdruckgebietes unterrichtet sein würden. Die Situation
erforderte, sofort zu fliegen, man könnte vielleicht eine
Chance nutzen, die vorüberginge, wenn man sie abwarten
würde. Aber andereseits könnte man Schwierigkeiten bei der
Landung haben in dem Fall, daß sich die Tiefdruckzone ein
bißchen stärker und schneller entwickelte als erwartet.
Herr Amundsen bemerkte, daß es seiner Ansicht nach
bedenklich wäre, in einer solch zweifelhaften Situation
aufzubrechen und schlug vor, man solle bis zum 14
Uhr-Bericht warten. Es wäre angemessen, nach 14.00 Uhr neu
zu beraten bis die Berichte da seien. Er bemerkte ebenso,
daß es im Falle von Schwierigkeiten im Norden der
Bäreninsel dort einige Seen gäbe, auf denen man vielleicht
landen könnte. Wir waren unterdessen im Zweifel, ob diese
Seen nicht noch zugefroren sein könnten. Herr Amundsen
vermutete, daß sie zugefroren seien. Ich versprach,
diesbezüglich Empfehlungen um 14.00 Uhr zu geben. Herr
Amundsen hat keine Bemerkung gemacht, die dazu Anlaß gab,
daß er nicht damit rechnete, nach Kingsbay zu gehen.
Er war speziell an den Landebedingungen in
Kingsbay interessiert, wie die Eisbedingungen sogar im Fjord
selbst von Kingsbay wären. Wir versprachen, dazu Stellung
zu nehmen, wenn möglich um 14.00 Uhr. Dann war unsere
Unterhaltung beendet.
Kurz nach 14.00 Uhr rief mich Herr Zapffe
an und ich sagte ihm, daß sich das Tiefdruckgebiet zwischen
Grönland und Spitsbergen kaum verändert und nicht stärker
entwickelt hat. Mit anderen Worten hatte sich die Situation
entwickelt wie wir es vermutet hatten, und wir waren in der
Lage, zu empfehlen, so schnell wie möglich aufzubrechen.
Herr Amundsen war bei Herrn Zapffe, aber ich habe ihn
diesmal nicht gesprochen. Ich hatte den Eindruck, daß sie
sehr in Eile waren und daß sie sich darauf vorbereiteten,
so früh wie möglich aufzubrechen. Ich hatte die
angeforderten Berichte über die Eisbedingungen von
Spitsbergen und der Bäreninsel noch nicht erhalten. Es galt
als vereinbart, daß ich ihnen nach Erhalt telefonisch
Auskunft erteilen würde, über das Geschäft der
Ölgesellschaft, wo das Flugzeug stand. Als ich
telefonierte, kurz vor 16.00 Uhr, dachte ich, ich hätte
Herrn Dietrichson am Apparat und ich hatte eine kurze
Unterhaltung mit ihm. Das Wetter war um 14.00 Uhr
beträchtlich besser - auf der Bäreninsel sollte es
wolkenlos sein - es schien, daß sie sich entschieden
hatten, so schnell wie möglich aufzubrechen. Ich hatte den
Eindruck, daß Herr Dietrichson sehr beschäftigt war und
daß sie jeden Moment aufbrechen würden. Wir hatten kaum
die Zeit, uns über die Kommunikationszeiten abzustimmen, 2x
pro Stunde, 15 Min - 20 Min. und 45 Min. - 50 Min., wenn
unser meterologischer Dienst es erlaubte und darüber hinaus
egal zu welcher Zeit. Ab 19.00 Uhr waren wir mit unseren
Berichten beschäftigt. Wir wollten uns auf der Bäreninsel
eines Abhördienstes versichern. Dies wurde gemacht.
Die letzte Nachricht, die wir vom Flugzeug
hatten, war um 18.45 Uhr. Es meldete sich in der Kingsbay an
und teilte mit, daß sie mehrere Telegramme aufgeben
würden. Wir hatten mittlerweile begriffen, daß sie keine
Verbindung bekommen hatten.
Ingöy teilte mit, daß sie mit dem
Flugzeug um 17.40 Uhr Verbindung hatten. Eine Viertelstunde
später haben sie Héler Tqe-Longyearcity gehört - aber
seitdem haben sie nichts mehr gehört.
Nach meiner Unterhaltung mit den Herren
folgere ich, daß es ihre Absicht war, nach Kingsbay zu
fliegen. Ich gehe nicht davon aus, daß sie einen anderen
Plan hatten. Vor allem kann ich in keinem Moment glauben,
daß sie die Absicht hatten, östlich entlang Spitsbergen zu
fliegen, vor allem, da ich sie darauf aufmerksam gemacht
habe, daß sie mit Nebel an der Eisgrenze zu rechnen
haben.
Ich muß dennoch bemerken, daß es etwas
zweifelhaft ist, ob die Annahme einer Nebelzone an der
Eisgrenze korrekt war. Es ist möglich, daß diese Nebelzone
nicht existiert hat - daß der beobachtete Nebel zuvor auf
der Bäreninsel andere Ursachen gehabt haben könnte.
Falls also das Flugzeug dort angekommen
ist und dort klares Wetter vorgefunden hat, so kann es sein,
daß sie ihre Meinung geändert haben und eine Route
östlich von Spitsbergen eingeschlagen haben. Nachdem was
passiert ist, erscheint es mir trotzdem als am meisten
wahrscheinlich, daß sie dies nicht getan haben. Ich habe
den sicheren Eindruck, daß Herr Amundsen sich keinem
unnötigen Risiko aussetzen wollte. Ich erinnere mich, daß
er sagte, die Mission sei so wichtig, daß man nicht in
einer instabilen Wettersituation aufbrechen müsse. Wenn wir
die Möglichkeit des Nebels im Osten herausstellen und eine
solche Route indiskutabel ist, so deutet dies wahrscheinlich
darauf hin, daß es kaum möglich war, eine solche Route zu
wählen.
Wir kamen dazu, ein Telefongespräch aus
Mjelde zu empfangen, wo einige Fischer ein überfliegendes
Flugzeug bei Malangen, 5 bis 6 Orte von Hekkingen, gesehen
haben. Sie erzählten, daß der Kurs des Flugzeugs Richtung
Osten erstaunlich war. Dies wies darauf hin, daß sie
versucht haben, die Nebelzone über der Barentssee die es
gab - und die vielleicht immer noch da war - zu vermeiden,
eine Sache, die wir Herrn Dietrichson morgens auch
nahegelegt hatten, als das Wetter auf der Bäreninsel nicht
wolkenlos war. Um 11.00 Uhr war das Wetter auf der
Bäreninsel klar, worüber diese Herren informiert
waren.
Andererseits besteht auch die
Möglichkeit, daß - als sie bemerkten, daß das Wetter klar
sein würde - sie sich für eine mehr östliche Route
entschieden haben.
Ich glaube hinzufügen zu müssen, daß -
als ich am Morgen Herrn Dietrichson gebeten hatte, mit den
zwei anderen Flugzeugen, die dort waren, aufzubrechen - er
derart zögerte, daß ich den Eindruck bekam, diese Frage
sei nicht diskutiert worden. Er sagte, nach meiner
Erinnerung, etwas in diesem Sinne, daß er dachte, daß man
lieber allein aufbreche. Ich habe ihn in diesem Sinne
verstanden, daß er entschied, sie müssten so unabhängig
wie möglich sein, um größere Aktionsfreiheit zu haben der
Entwicklung der Umstände zu folgen.
Mit freundlichen Grüßen etc.
O. Krogness (sign.)
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